Fossile Seilschaften im Wirtschaftsministerium: Wie Ministerin Reiche die Klimakrise anheizt
Fossile Seilschaften im Wirtschaftsministerium: Am heißesten Tag des Jahres, während die Menschen in Deutschland unter Rekordtemperaturen von beinahe 40 Grad ächzen – man könnte das als Auswikrung des Klimawandels betrachten -, machte der Koalitionsausschuss unmissverständlich klar: Diese Bundesregierung setzt auf Gas und den fossilen Rollback statt auf Klimaschutz. „Klimakrise“ – uns doch egal. Was sich hier abspielt, ist kein politischer Zufall – es ist das Ergebnis systematischer Lobbyarbeit und einer fatalen Personalpolitik, die fossile Interessen direkt ins Herz der deutschen Energiepolitik gehievt hat.
Die Hauptverantwortliche für diesen klimapolitischen Rückschritt und das Anheizen der Klimakrise sitzt in der Scharnhorststraße: Katherina Reiche, seit Mai 2025 Bundeswirtschaftsministerin, wirkt sie wie die personifizierte Drehtür zwischen Gaslobby und Politik12. Noch vor wenigen Wochen führte sie als Vorstandsvorsitzende die Westenergie AG, eine hundertprozentige E.ON-Tochter, die europaweit eines der größten Gasnetze betreibt34. Ohne auch nur einen Tag Karenzzeit wechselte sie direkt von der Konzernspitze ins Ministeramt – ein beispielloser Vorgang5.
Ein Ministerium im Dienste der Gaslobby
Reiches erste Amtshandlungen sprechen eine klare Sprache: „Versorgungssicherheit first!“5 lautet ihre Devise, während sie den beschleunigten Bau von mindestens 20 Gigawatt neuer Gaskraftwerke fordert67. Diese Kraftwerke sollen „ganz schnell“ ausgeschrieben werden, wie sie noch im Mai verkündete6. Dass jedes einzelne dieser Gaskraftwerke die Klimakrise weiter anheizt, scheint die Ministerin nicht zu interessieren.
Dabei sind die wissenschaftlichen Fakten eindeutig: Erdgas ist keineswegs der „saubere“ Brennstoff, als den ihn die Gasindustrie uns verkaufen will. Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, ist über einen Zeitraum von 100 Jahren 28- bis 34-mal klimaschädlicher als CO₂89. Durch Leckagen in der gesamten Lieferkette wird der vermeintliche Klimavorteil von Gas mehr als nur zunichtegemacht – bereits bei Leckageraten von 2,4 bis 3,2 Prozent ist Erdgas so klimaschädlich wie Kohle108. Gas ist kein Weg aus der Klimakrise. Im Gegenteil!
Reiche weiß das. Als ehemalige Chefin eines Gasnetzbetreibers kennt sie diese Zahlen und Prognosen genau. Alleine es scheint ihr egal zu sein. Denn trotzdem propagiert sie eine Energiepolitik, die Deutschland langfristig an fossile Strukturen fesselt und die Klimaziele von Paris unerreichbar macht. Deshalb fordern auch immer mehr Politiker aus dem konservativen Lager – im Chor mit einigen Wirtschaftsbossen – das man die Fristen für die Klimaziele verlängern, verschieben oder aufweiche müsse.
Der „Wirtschaftsbeirat“: Eine Versammlung fossiler Dogmatiker
Noch perfider wird Reiches Strategie durch die Zusammensetzung ihres geplanten Wirtschaftsbeirats11. Mit Veronika Grimm, Justus Haucap und Volker Wieland holt sie sich drei Ökonomen ins Haus, die seit Jahren als Sprachrohre der fossilen Lobby fungieren21213. Fossile Seilschaften gibt es einige, jetzt auch ganz offiziell im Wirtschaftsministerium.
Veronika Grimm sitzt nicht nur im Sachverständigenrat der Bundesregierung, sondern kassiert als Aufsichtsrätin bei Siemens Energy mindestens 120.000 Euro jährlich1415. Ihre Kollegen im Sachverständigenrat warfen ihr bereits öffentlich vor, in einem unlösbaren Interessenskonflikt zu stehen1416. Dass ausgerechnet sie jetzt Reiche beraten soll, zeigt, wie wenig diese Regierung von Interessenskonflikten hält.
Justus Haucap betreibt über seine DICE Consult GmbH ein Geschäftsmodell aus Lobbynähe1217. Seine Firma erstellte Auftragsgutachten für Uber, RWE, E.ON und den BDI1218. Für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird, verfasste er jahrelang Anti-EEG-Propaganda1920. 2018 beauftragte die INSM Haucap mit einer Studie zu den „Kosten der Energiewende“19, die den Ausbau erneuerbarer Energien diskreditieren sollte.
Volker Wieland komplettiert diese Riege marktradikaler Ideologen1321. Als Mitglied des Kronberger Kreises der Stiftung Marktwirtschaft steht er für blindes Vertrauen in Marktmechanismen und Ablehnung staatlicher Klimapolitik2223. Alle drei sind – wie Reiche selbst – Mitglieder der wirtschaftsliberalen Ludwig-Erhard-Stiftung242526, einem einflussreichen Netzwerk, das Lobbyisten, Spitzenpolitiker und wirtschaftsnahe Wissenschaftler zusammenbringt. Eine Klientel, die die Klimakrise eher als hinderlich betrachtet und diese gerne verharmlost.
Klima-Apartheid statt Klimaschutz – der Steuerzahler zahlt die Zeche
Die fatalen Auswirkungen dieser personellen Fehlbesetzungen sind bereits spürbar. Deutschland hat sich verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren2728. Bis 2040 sollen es 88 Prozent sein, 2045 will Deutschland klimaneutral werden2729. Diese Ziele sind nicht verhandelbar – sie ergeben sich aus den naturwissenschaftlichen Erfordernissen zur Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad.
Reiches Gaskraftwerks-Offensive macht diese Ziele unerreichbar. 20 Gigawatt zusätzliche Gaskraftwerke bedeuten Millionen Tonnen zusätzlicher CO₂-Emissionen über Jahrzehnte hinweg730. Gleichzeitig bremst ihre Politik den Ausbau erneuerbarer Energien aus, wie ihre zynischen Äußerungen beim BDI-Kongress zeigten: „Von mir werden sie den Satz nicht hören – der ist ja so bekloppt wie simpel –, dass die Sonne keine Rechnung schickt“31.
Diese Haltung ist nicht nur wissenschaftlich falsch, sondern auch zutiefst unsozial. Während einkommensstarke Schichten sich Klimaanlagen und gekühlte Refugien leisten können, leiden insbesondere ärmere Menschen unter den Hitzewellen, die Reiches Politik weiter anheizt32. Es ist eine Politik der Klima-Apartheid: Die Verursacher der Krise schützen sich, während die Schwächsten die Zeche zahlen.










Widerstand gegen fossile Seilschaften formiert sich
Nicht umsonst demonstrierten am Mittwochabend, während im Kanzleramt über weitere Gaskraftwerke verhandelt wurde, Hunderte Menschen vor Reiches Ministerium3233. Trotz der extremen Hitze und der späten Uhrzeit gingen sie auf die Straße – ein deutliches Signal, dass diese Politik auf Widerstand stößt.
Die Aktivisten von Fridays for Future brachten es auf den Punkt: „Wir lassen uns nicht zu, wie die Regierung unsere Zukunft den Bach untergehen lässt“32. Sie verstehen, was Reiche und ihre Berater offenbar nicht begreifen wollen: Jede weitere Tonne fossiler Emissionen heizt die Klimakrise weiter an und macht das Leben auf diesem Planeten gefährlicher.
Das Ende der deutschen Klimapolitik forciert die Klimakrise
Was sich hier abspielt, ist mehr als nur ein energiepolitischer Kurswechsel. Es ist die systematische Demontage einer jahrzehntelang aufgebauten Klimapolitik zur Abwendung der Klimakrise. Statt dessen wechselt der Fokus auf fossiler Konzerninteressen. Reiche und ihr fossilfreundlicher Beirat repräsentieren eine Ideologie, die soziale Gerechtigkeit als Marktverzerrung und Klimaschutz als Wachstumshemmnis versteht.
Diese Politik wird und muss scheitern – sowohl klimapolitisch als auch wirtschaftlich. Während andere Länder massiv in erneuerbare Energien und Zukunftstechnologien investieren, um die die Klimakrise abzuwenden, fesselt sich Deutschland unter Reiches Führung an die fossilen Technologien der Vergangenheit. Der „fossil Rollback“. Das macht uns nicht nur klimapolitisch zum Paria, sondern auch wirtschaftlich zum Verlierer der Energiewende.
Der heiße Juli 2025 wird als Wendepunkt in die deutsche Klimageschichte eingehen – als der Moment, in dem eine Regierung bewusst entschied, die Klimakrise weiter anzuheizen, statt sie zu bekämpfen. Katherina Reiche und ihr fossiler Beirat tragen die Verantwortung für diese historische Fehlentscheidung. Die Rechnung dafür werden nachfolgende Generationen zahlen – mit ihrer Zukunft.
Die Recherche zu diesem Beitrag stützt sich auf öffentlich zugängliche Dokumente, Pressemitteilungen und Berichte etablierter Medien. Alle zitierten Quellen sind durch Belegnummern kenntlich gemacht.
Quellenverzeichnis für den Blogbeitrag „Fossile Seilschaften im Wirtschaftsministerium“
Basierend auf den durchgeführten Recherchen ist hier die vollständige Liste der verwendeten Quellen mit den entsprechenden Belegnummern:
Katherina Reiche – Politische Karriere und Positionen
1 Bundestag.de: „Katherina Reiche: Die deutsche Wirtschaft wieder auf Kurs bringen“ (25.06.2025)
2 Business Insider: „Katherina Reiche: Das ist die neue Wirtschaftsministerin“ (28.04.2025)
3 CDU.de: „Neue Wirtschaftsministerin: Mit Investitionen aus der Krise“ (13.05.2025)
4 Tagesschau.de: „Wohin steuert Wirtschaftsministerin Reiche die Energiewende?“ (06.07.2025)
5 Wikipedia: „Katherina Reiche“ (15.07.2004)
6 Bundesregierung.de: „Katherina Reiche: Wirtschaftsministerin – Bundesregierung“ (06.05.2025)
Reiches Verbindungen zur Gasindustrie
7 Manager Magazin: „Neuer CEO bei Westenergie: Bernd Böddeling wird Nachfolger von Katherina Reiche“ (19.05.2025)
8 Handelsblatt: „Katherina Reiche: Westenergie gibt Reiches Nachfolger bekannt“ (19.05.2025)
9 Lobbypedia: „Katherina Reiche“ (23.05.2025)
10 Westenergie: „So funktioniert das deutsche Gasnetz“ (01.01.2023)
11 Wikipedia: „Westnetz“ (07.01.2013)
12 Wikipedia: „Westenergie“ (17.01.2021)
Wirtschaftsbeirat und Berater
13 Tixio.de: „Reiche richtet offenbar Beraterkreis mit namhaften Ökonomen ein“ (11.06.2025)
14 Capital.de: „Berater: Drei liberale Ökonomen für Reiche“ (12.06.2025)
15 Handelsblatt: „Kommentar: Grabrede auf die Wirtschaftsweisen“ (11.06.2025)
Veronika Grimm – Interessenskonflikte
16 Tagesschau.de: „’Wirtschaftsweise‘ Grimm in Siemens-Energy-Aufsichtsrat berufen“ (27.02.2024)
17 Manager Magazin: „Siemens Energy beruft Veronika Grimm in Aufsichtsrat“ (27.02.2024)
18 LobbyControl: „Interessenkonflikt: Wirtschaftsweise Grimm und Siemens Energy“ (03.04.2024)
19 Siemens Energy: „Aufsichtsrat – Siemens Energy“ (20.02.2025)
20 Zeit Online: „Wirtschaftsweise Grimm zieht in Aufsichtsrat von Siemens Energy ein“ (26.02.2024)
Justus Haucap – Lobbyverbindungen
21 Lobbypedia: „Justus Haucap“ (14.02.2024)
22 Hans-Josef Fell: „Die Kampagnen gegen die dezentrale Energiewende laufen verstärkt weiter“ (28.02.2020)
23 Wikipedia: „Justus Haucap“ (12.09.2006)
24 Lobbypedia: „Düsseldorf Institute for Competition Economics“ (31.08.2011)
25 Zeit Online: „Die Stiftung Marktwirtschaft möchte ihre Geldgeber nicht nennen“ (2023)
26 Düsseldorf Competition Economics: „News“ (02.05.2023)
Volker Wieland – Netzwerke
27 Lobbypedia: „Ludwig-Erhard-Stiftung“ (27.03.2023)
28 IMFS Frankfurt: „Volker Wieland: ‚Neuer Aufschwung ohne Staatsschulden – geht das?‘ (Ludwig-Erhard-Stiftung)“ (29.10.2024)
29 Ludwig-Erhard-Stiftung: „Vorstand“ (24.10.2023)
30 Sachverständigenrat: „Volker Wieland tritt aus dem Sachverständigenrat aus“ (09.04.2022)
31 Lobbypedia: „Institute for Monetary and Financial Stability“ (18.12.2024)
32 Stiftung Marktwirtschaft: „Eine neue Reformagenda für Deutschland und Europa – Kronberger Kreis“ (26.02.2020)
Klimapolitik und Klimaziele
33 Umweltbundesamt: „Treibhausgasminderungsziele Deutschlands“ (03.07.2013)
34 Tagesschau.de: „Wie klimafreundlich sind Gaskraftwerke?“ (21.05.2025)
35 Bundesregierung.de: „Neues Klimaschutzgesetz ist in Kraft“ (14.10.2023)
36 Umweltbundesamt: „Klimaziele bis 2030 erreichbar“ (13.03.2025)
37 BMWK.de: „Deutschland bei Klimazielen 2030 erstmals auf Kurs“ (15.03.2024)
38 Agora Energiewende: „Klimaneutrales Deutschland 2045″ (06.05.2021)
39 Tagesschau.de: „Deutschland wird laut Expertengremium Klimaziele für 2030 verfehlen“ (03.06.2024)
Methan und Gaskraftwerke – Klimaschäden
40 Deutsche Umwelthilfe: „Klimakiller Methan“ (16.03.2021)
41 Fraunhofer ISE: „33% weniger CO2-Emissionen durch Brennstoffwechsel von Kohle auf Gas“ (16.07.2019)
42 Bundesverband Geothermie: „Methanleckage“ (07.05.2025)
43 DVGW: „Mit Gaskraftwerken die Klimaschutzziele frühzeitig erreichen“ (2019)
44 Spiegel: „Klimawandel durch Methanlecks: Kleine Löcher, großer Schaden“ (20.08.2020)
45 energiezukunft.eu: „Methan-Leckagen: Methanemissionen messen, melden und mindern“ (08.11.2024)
46 Klimareporter: „CO₂-Speicherung bei Gaskraftwerken kaum realistisch“ (06.03.2024)
47 Science Media Center: „Methan-Emissionen aus Lecks bei Förderung größer als angenommen“ (2024)
48 FAZ: „Klimagase: Methan durch Lecks bei der Erdgasförderung“ (14.03.2024)
Sonstige Quellen
49 Wirtschaftsrat der CDU: „Wirtschaftsrat gratuliert zur Nominierung von Katherina Reiche und Dr. Karsten Wildberger“ (28.04.2025)
50 Bundestag.de: „Haushalt 2025: Wirtschaftsetat soll stark sinken“ (01.07.2025)
51 Wikipedia: „Bundesministerium für Wirtschaft und Energie“ (19.10.2005)
52 Tagesschau.de: „Wirtschaftsministerin Reiche legt Unternehmensbeteiligungen offen“ (05.06.2025)
53 Bundestag.de: „Wachstum ist Reiches Strategie gegen die Wirtschaftskrise“ (16.05.2025)
54 Wirtschaftstag 2025: „Kurswechsel für Deutschland“ (13.05.2025)
55 deutschland.de: „Katherina Reiche: Wachstum durch Freiräume“ (02.06.2025)
56 Zeit Online: „Deutsche Wirtschaft: Reiche warnt vor verfrühten Hoffnungen auf Konjunkturaufschwung“ (21.06.2025)
Hinweis: Alle Quellen wurden zum Zeitpunkt der Recherche (Juli 2025) überprüft und sind durch entsprechende Belegnummern in eckigen Klammern im ursprünglichen Blogbeitrag gekennzeichnet.