Balkonkraftwerke in Deutschland bald mit 800 Watt möglich?
Bislang darf ein Balkonkraftwerk in Deutschland maximal 600 Watt an das häusliche Stromnetz abgeben. Das soll sich aber wohl bald ändern. Mit einem Positionspapier schlägt der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. – kurz VDE – eine deutliche Vereinfachung der Regelungen für sogenannte Balkonkraftwerke vor. Das sind kleine Fotovoltaikanlagen, die aus ein oder zwei Fotovoltaik-Modulen und einem Wechselrichter bestehen und den Solarstrom direkt als 230-Volt-Wechselstrom vor Ort in das Haus-Stromnetz einspeisen. Weil diese oft an Balkongeländern montiert werden, hat sich der Begriff eingebürgert. Auch diese kleinen Anlagen helfen, den CO2-Fußabdruck kleiner werden zu lassen. Wenn Du wissen willst, wie Du deinen CO2-Fußabdruck berechnen kannst: Hier eine Anleitung.
Schon jetzt ist es einigermaßen unkompliziert, ein solches Balkonkraftwerk anzuschaffen und in Betrieb zu nehmen. Doch die vom VDE angestrebten Änderungen sollen das Ganze nochmal deutlich vereinfachen, weitere Hürden abbauen und die Anschaffung damit attraktiver machen. Was genau soll geändert werden?
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Die 800-Watt-Grenze für Balkonkraftwerke soll kommen
Der VDE schlägt in seinem Positionspapier zunächst vor, die EU-weite Bagatellgrenze von 800 Watt für Balkonkraftwerke endlich auch in Deutschland einzuführen. Damit würde das bisherige Limit von 600 Watt um 200 Watt angehoben. Dazu schlägt der VDE eine entsprechende Gesetzesänderung in der „Verordnung zum Nachweis von elektrotechnischen Eigenschaften von Energieanlagen“ (NELEF) vor. Umsetzen muss das demnach der Gesetzgeber.
Balkonkraftwerke bestehen aus ein bis zwei Solarpaneelen und einem Wechselrichter, der dann 230 Volt über eine Steckdose ins Hausnetz einspeist. Diese Pakete bekommt man sogar bei Amazon (Bilder anklicken!)
Freie Wahl des Stromzählers – auch rücklaufende zulässig
Die Anlage soll gemäß dem Vorschlag des VDE an jedem beliebigen vorhandenem Zähler betrieben werden dürfen. Also auch an alten „Drehscheiben-Zählern“ ohne Rücklaufsperre. Genau das ist bislang verboten. Bei einem Zähler ohne Rücklaufsperre dreht sich der Zähler rückwärts, wenn das Balkonkraftwerk mehr Watt Leistung liefert, als momentan im Haus verbraucht wird. Der Überschuss fließt ins öffentliche Netz und der Zählerstand reduziert sich entsprechend. Bislang ist es so, dass ein solcher Zähler gegen einen Zähler mit Rücklaufsperre getauscht werden muss.
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Die neue Regelung würde diese Pflicht abschaffen und der vorhandene Zähler dürfte weiter genutzt werden, selbst wenn er manchmal rückwärts zählt. In diesem Zusammenhang weist der VDE explizit darauf hin, dass die Verantwortung für den Zählerausch immer beim Netzbetreiber liegt und nicht beim Verbraucher. Auch hier gilt, dass diese Änderung nur durch den Gesetzgeber erfolgen kann.
Deutliche Vereinfachung der Anmeldung für Balkonkraftwerke
Der nächste Vorschlag sieht eine vereinfachte Anmeldung vor. Bislang läuft die Anmeldung eines Balkonkraftwerkes so, dass der Verbraucher seine Anlage online auf der Webseite des Markstammdatenregisters anmeldet. Von dort aus wird automatisch der zuständige Netzbetreiber informiert. Dieser kann nun entscheiden, ob er den Betrieb der Anlage zu lässt. Er kann die Anlage „eingach so“ zulassen, unter Auflagen – beispielsweise Zählertausch – zulassen oder den Betrieb untersagen.
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Bisher ist es also so, dass ein Verbraucher hier ein Stück weit der Willkür eines regionalen Netzbetreibers ausgeliefert. Gerät er einen, der Umsatz um jeden Preis machen will und deshalb Balkonkraftwerke verbietet, hat er sprichwörtlich Pech gehabt. Hat er Glück und gerät ein einen wohlwollenden Anbieter, kann er seine Anlage betreiben.
Genau dieser Meldeweg soll durch den VDE-Vorschlag quasi nach dem Markstammdatenregister gekappt werden. Mit der neuen Regelung meldet der Verbraucher seine Anlage online an und das war es. Der Netzbetreiber wird nicht mehr involviert und kann dem Verbraucher keine Steine mehr in den Weg legen. Die Anlage darf mit der Anmeldung beim Markstammdatenregister dauerhaft betrieben werden. Wie schon zuvor ist auch das ein Vorschlag, der auf eine Gesetzesänderung abzielt und vom Gesetzgeber umgesetzt werden muss.
Endlich: Schukostecker werden für Balkonkraftwerke geduldet
Spannend ist auch eine beabsichtige Änderung der VDE-Norm. Bislang sieht diese Norm vor, dass der Strom aus Balkonkraftwerken nur über eine spezielle, gesondert mechanisch abgesicherter Steckverbindung in das Hausnetz eingespeist werden darf. Konkret ist das eine Wieland-Steckdose, die statt einer normalen Steckdose montiert werden muss. Das aber darf nur ein Elektriker machen. An diese Dose wird das Balkonkraftwerk dann mit einem Wielandstecker angeschlossen. Genau diese Vorschrift soll geändert werden. Die Wielandsteckdose soll nur noch empfohlen aber nicht mehr vorgeschrieben werden. Und die haushaltsübliche Schukosteckdose wird für Balkonkraftwerke bis 800 Watt explizit geduldet. Damit kann der Verbraucher sein Balkonkraftwerk einfach in die Steckdose an der Wand stecken und betreiben. Das Gute ist, hier bleibt der Gesetzgeber außen vor, denn über diese Norm entscheidet der VDE vollumfänglich selbst.
Zertifizierung von „steckerfertigen Balkonsolaranlagen“
Der VDE will in der geänderten Norm einführen, dass die Anbieter solcher komplett steckfertigen Anlagen sich prüfen und zertifizieren lassen können. Damit können sie dann ihre Komplettpakete als VDE-Norm-geprüft anbieten. So kann sich der Verbraucher auf diese technische Sicherheitsgarantie verlassen. Diese Komplettpakete gibt es seit Jahren am Markt und sie sind durch die Prüfpflicht für die einzelnen Komponenten sicher. Dann aber sind sie genau das auch mit offiziellem Prüfsiegel und „VDE-Segen“.
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Das bedeutet zum Glück nicht, dass Verbraucher zum Kauf solcher zertifizierten Anlagen verpflichtet sind. Wer möchte, kann sich sein Balkonkraftwerk, wie bisher, aus selbst ausgewählten Einzelkomponenten zusammenstellen und diese eben separat kaufen. Nicht desto trotz müssen diese, wie schon immer, entsprechende Sicherheitsnormen erfüllen. Wer eine Komponente vom Billighändler aus Fernost ohne jede VDE-Normung beschafft und betreibt, kann schon immer Ärger bekommen. Oder aber die Versicherung bezahlt nicht, wenn wegen so einem unsicheren Gerät ein Brand entsteht und das Eigenheim ein Raub der Flammen wird. Auch hier hat der VDE als normgebende Instanz die Entscheidungshoheit, es bedarf keiner Gesetzesänderung durch den Gesetzgeber.
Als nächstes ist der Gesetzgeber an der Reihe
Die Regelungen, die der VDE in seiner Norm direkt ändern kann, sind in der Umsetzung unproblematisch. Die Vorschläge sind seit letztem Oktober öffentlich und befinden sich in der Kommentierungsphase. Verbraucher, Verbraucherschützer oder Hersteller dürfen diese Normänderungsvorschläge derzeit kommentieren. Nach dieser Phase werden die Kommentare ausgewertet und dann wird die Normenänderung umgesetzt. Das könnte im Laufe des Jahres geschehen.
Lies hier: Kommt eine FI-Pflicht für Balkonkraftwerke?
Doch bei den Punkten, die der VDE nur als Vorschlag an den Gesetzgeber durchreicht, kommt es eben auf die Bundesregierung als zuständige Instanz an. Zudem sind hier weitere Stellen wie die Bundesnetzagentur involviert. Ob die Anhebung der Bagatellgrenze auf 800 Watt, die „freie Wahl des Zählers“ und die vereinfachte Anmeldung kommen, hängt davon ab, ob die Bundesregierung die vom VDE vorgeschlagenen Gesetzesänderungen umsetzt. Allerdings gilt der VDE als Normgeber und damit als kompetente und maßgebliche Stelle für Sicherheitsfragen in der Elektrotechnik. Daher darf man darauf hoffen, dass die Bundesregierung den Vorschlägen folgt und die Gesetze ändert.
Ein längst überfälliger, wichtiger und richtiger Schritt
Insgesamt sind all diese von der VDE auf den Weg gebrachten Änderungen ein richtiger und wichtiger Schritt, um den Betrieb von steckerfertigen Balkonkraftwerken zu vereinfachen und attraktiver zu machen. Zudem würde damit das umgesetzt, was in den meisten anderen EU-Ländern schon seit langem gilt und angewendet wird. Die 800-Watt-Grenze beispielsweise ist von Anfang an in der EU als Standard verabschiedet und von den meisten Mitgliedsstaaten umgesetzt worden. Nur Deutschland ist mit der strengeren Begrenzung auf 600 Watt mal wieder einen Sonderweg gegangen.